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Computerkunst 1972: »MBB Computer Graphics«

Einführung   Böttger   Roubaud/Weiß   Wölk

Die hier gezeigten Arbeiten sind erhältlich.

»Computerkunst 1972« stellt Grafiken verschiedener Software-Künstler vor, die 1971/72 im Rahmen eines Kunstprojekts in den Räumen des Flugzeugbauers Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) entstanden und unter dem Namen »MBB Computer Graphics« präsentiert wurden. Es handelt sich dabei um Computergrafiken aus der Frühzeit der Computerkunst.
Auf Initiative von Dr. Winfried Fischer, Leiter der Kulturabteilung des Unternehmens, formte sich eine Projektgruppe aus einer Künstlerin und vier Computergrafik-Spezialisten. Das Projekt und die computergenerierten Werke waren im Wesentlichen als Beitrag zum kulturellen Rahmenprogramm der Olympischen Spiele 1972 in München gedacht.


Frank Böttger: Nichtlineare Interpolation V 0 Roubaud/Weiss: Geradlinig begrenzte Elemente unter deterministischen und stochastischen Zwangsbedingungen III - dieser Druck steht zum Verkauf, bitte klicken Sie für weitere Informationen 0 Rolf Wölk: Elementketten stochastischer Richtungen


Bei den Computergrafiken, den »MBB Computer Graphics«, handelt es sich um sogenannte algorithmische Kunst, d.h. die Werke basieren auf programmierten Algorithmen, also auf maschinenlesbar gemachten Handlungsanweisungen. Diese wurden von einem Großrechner verarbeitet und zunächst von einem Stiftplotter maschinell gezeichnet. Die Plotterzeichnungen wurden schließlich zeitnah für verschiedene Ausstellungen und für das 1972 von Johann Willsberger herausgegebene Buch »Computer Graphics« in unterschiedlichen Drucktechniken und Auflagen reproduziert.
Von den damals hergestellten Drucken sind heute nur noch wenige Exemplare erhalten.

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 Die Beteiligten

Die beteiligten Künstler, Software-Autoren, Computergrafiker waren:

Frank Böttger  Sylvia Roubaud  Aron Warszawski  Gerold Weiß  Rolf Wölk

Sylvia Roubaud war die einzige ausgebildete Künstlerin der Projektgruppe, obwohl ursprünglich die Beteiligung weiterer Künstler vorgesehen war. Einige Künstler hatten – wohl wegen Vorbehalten gegenüber der Computertechnologie – von der Teilnahme abgesehen.
Mehr Informationen zu den Beteiligten und den einzelnen Grafiken bietet die jeweilige Ausstellungsseite.

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 Die Technik – Software

Die Grundlage dieser Computergrafiken sind nach gedanklichen oder skizzierten Entwürfen erdachte Algorithmen – also mathematisch formulierte Handlungsanweisungen – welche die Grafik bzw. die Folge von Grafiken als Ablauf beschreiben. (siehe Wikipedia: Algorithmus).
Mittels der Algorithmen wurden im Wesentlichen zwei Themenbereiche bearbeitet und erforscht: die geometrische Grafik – hier ging es vor allem um Koordinatenverschiebungen, Drehungen und Verzerrungen – und die unter dem Einsatz von Zufallsgeneratoren erzeugte Grafik, die im Wesentlichen mit stochastischen Elementzuständen und von Zufallszahlen gesteuerten Progressionen arbeitete.

Die Algorithmen wurden mit der Programmiersprache FORTRAN IV maschinenlesbar gemacht. Das Programm wurde auf Lochkarten und anschließend auf Magnetbänder übertragen. Um eine Serie unterschiedlicher Grafiken mit einer algorithmischen Struktur zu erzeugen, musste das Programm neu, d.h. mit anderen Parametern geschrieben werden.

Johann Willsberger beschreibt die Computergrafiken als »graphischen Manifestation von mathematischen Rechenvorschriften«. Im Buch »Computer Graphics« schreibt er: »Alle Computer Graphics können im Prinzip auch manuell hergestellt werden, sogar die, bei deren Gestaltung Zufallszahlen eine Rolle spielen. Der zeitliche Aufwand wäre zwar erheblich größer, aber mit der Kenntnis zum Beispiel des Interpolationsverfahrens oder des Algorithmus für die Erzeugung der (Pseudo)-Zufallszahlen sind die nötigen Informationen gegeben, um die Strukturen ohne Rechner zu ermitteln und – wenn auch unpräziser – mit der Hand zu zeichnen.«



Frank Böttger: Nichtlineare Interpolation III 0 Roubaud/Weiss: Explosion geordneter Strukturen I - dieser Druck steht zum Verkauf, bitte klicken Sie für weitere Informationen 0 Rolf Wölk: Elementketten stochastischer Richtungen V

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 Die Technik – Hardware

Die technische Ausstattung, die MBB den Software-Künstlern zur Verfügung stellte, bestand im Wesentlichen aus einem Großrechner, einem IBM System/360 Model 50, der das Programm ausführte und die Grafiken berechnete bzw. generierte, und einer Kongsberg Kingmatic Zeichenmaschine.
Die Kingmatic, ein rund 2 x 6 Meter große Flachbett-Plotter, war die seinerzeit größte computergesteuerte Zeichenmaschine in Europa. Die numerische Zeichenmaschine konnte Strichzeichnungen in nie dagewesener Präzision und mit erstaunlich engen Linienabständen anfertigen und bei Bedarf z.B. auch Konstruktionspläne in Folie ritzen. Nur einige wenige dieser hochpräzisen Zeichengeräte waren für Konstruktionsabteilungen der Großindustrie, wie die des Flugzeugbauers MBB, hergestellt worden.

Der Zeichenvorgang mit dem Kingmatic wurde ohne vorherige Monitoransicht ausgeführt und glich gewissermaßen einem Experiment. Der Großrechner schickte die Daten direkt an die Zeichenmaschine, so dass das visuelle Ergebnis oft überraschend war.
Um die Grafiken nach der Vorstellung der Software-Künstler zu realisieren, mussten die Algorithmen im Voraus geplant und erdacht werden. Entsprach das visuelle Ergebnis nicht den Erwartungen, wurde das Programm bzw. der Algorithmus modifiziert.



Kongsberg Kingmatic 0
Frank Böttger an der Kongsberg Kingmatic Zeichenmaschine.

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 Die Drucktechnik

Die auf Transparentpapier ausgeführten Plotterzeichnungen dienten als Vorlage für grafische Drucke und wurden zu diesem Zweck zunächst fotografisch und dann drucktechnisch reproduziert. Daher sind die im Rahmen des Kunstprojekts von den Software-Künstlern erarbeiteten Grafiken zum Teil in unterschiedlichen Drucktechniken erhalten.

Die letztendliche Auswahl der Grafiken für das Buch, die Siebdruckeditionen und die Ausstellungen im kulturellen Rahmenprogramm der Olympiade 1972 übernahmen Dr. Winfried Fischer und Johann Willsberger.

Diese Online-Ausstellung zeigt nun einige der nach diesen Plotterzeichnungen hergestellten Drucke. Es sind farbige Siebdrucke sowie vollfarbig* Schwarz auf weißem Papier ausgeführte Offsetdrucke, die allesamt 1972 hergestellt wurden. Analog zur Fotokunst könnte man von sogenannten »vintage prints« sprechen – authentischen, weil zeitnah zur Erschaffung des digitalen Originals bzw. der Originalvorlage (hier: Plotterzeichnung) hergestellten Drucken.

*Anmerkung: Vollfarbig bedeutet »solid color«, der Druck hat also kein herkömmliches Offset-Punktraster.
Die Ausführung übernahm seinerzeit das auf Kunstdruck spezialisierte »Druck- und Verlagshaus Styria«, Graz, Österreich.
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 Die Ausstellungen 

Zunächst wurden die entstandenen Arbeiten 1972 in den Räumlichkeiten von MBB in der Ausstellung »Computer Graphics« gezeigt. Anschließend präsentierte man die »MBB Computer Graphics« in zwei Ausstellungen, die zum kulturellen Rahmenprogramm der Olympiade 1972 in München gehörten.

Im Jahr 1973 nahm die Projektgruppe mit den »MBB Computer Graphics« an der Ausstellung »tendencije 5 / tendencies 5« des MSU, Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb, Croatien (damals Jugoslawien), teil. Im Rahmen der Sektion »computer visual research« waren seinerzeit zahlreiche Computergrafiken als Offsetdrucke, einzelne auch als Siebdrucke ausgestellt.
Wie seinerzeit bei Computergrafiken üblich, blieben die Drucke dabei unsigniert.

In den letzten Jahren wurden einzelne dieser »MBB Computer Graphics« in großen Computerkunst-Ausstellungen gezeigt: In der Ausstellung »Ex Machina« der Kunsthalle Bremen, die überwiegend Werke der Sammlung Franke präsentierte, und in der »bit international« des ZKM in Karlsruhe.

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Hinweis VG Bild-Kunst: Für die Abbildungen der Grafiken von Sylvia Roubaud (jeweils mittig) gilt © VG Bild-Kunst für Sylvia Roubaud
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